Lassen Sie den Alltag hinter sich!



NETZ*ROMANE

e-Book Version






Leseprobe

Walter Weil


Die Klinge des Löwen

Band 2:


Das Tribunal


Nachdem Herzog Berthold, der hohe Gast der Burg, sich in eine eigens für ihn als Schlafgemach hergerichtete Kemenate zurückgezogen hatte, begaben sich Graf Max, sein Bruder Werner von Husen und dessen Gemahlin Elisabeth in einen abseits gelegenen Raum der Burg. Sie beabsichtigten, über ein Thema zu sprechen, das nicht für jedermanns Ohren bestimmt war. Ein vom Burgherrn beauftragter Page eilte der Gruppe voraus, um für die nötige Beleuchtung zu sorgen.

Sie betraten eine kahle, fensterlose Kammer, in der drei einfache Armsessel herumstanden und die ansonsten nur noch eine mit Malereien verzierte Truhe aufwies, die links von der Tür an der steinernen Wand aufgestellt war. Vor zwei kleinen Mauernischen, der sich öffnenden Tür zugewandt, waren brennende Kerzen aufgestellt. Die Kerzenhalter ruhten jeweils auf dem eine Handbreit in den Raum vorspringenden Boden der Nischen und wurden nach Gebrauch einfach in die Nischen zurückgeschoben.

Das flackernde Licht warf unruhige Schattenbilder der Eintretenden an die Wände. Nachdem sie alle drei Platz genommen hatten, heftete Graf Max, der erschöpft aussah, seine Augen auf Werner von Husen. "Nun, was hast du mir Wichtiges mitzuteilen? Aber bitte mach' es kurz, ich bin nach diesem aufregenden Tag nicht in bester Verfassung, wie du dir denken kannst!"

"Ja, nun, wir alle sind wohl froh, wenn wir endlich zu unserem wohlverdienten Schlaf kommen", begann Werner von Husen, und im Gegensatz zu seiner sonst umständlichen Art, ein Thema zu beginnen, kam er etwas rascher zur Sache. "Um deine Frage zu beantworten, also das ist so: ich meine, du kannst es dir nicht leisten, den jungen Dietrich weiterhin um dich zu haben."

Er wirkte, als er geendet hatte, richtig erleichtert, weil es ihm gelungen war, das heikle Thema ohne größere Einleitung zur Sprache zu bringen. Max von Ortenburg dagegen runzelte die Stirn. "Wie meinst du das?"

"Nun, wie soll ich es sagen", entgegnete sein Bruder mit einer unbestimmten Handbewegung. "Es ist dir doch wohl klar, daß Urban schon zu mürbe ist, um gegen deinen im frischen Saft stehenden Vasallen morgen auch nur den Hauch einer Chance zu haben. Ich meine, Dietrich wird diesen Zweikampf ohne große Mühe gewinnen. Der Geroldsecker ist einfach nicht mehr jung genug für so etwas. Den muß der Hafer gestochen haben, als er sich auf diesen Handel einließ."

Graf Max nickte, als würde er ihm zustimmen, aber seine Miene nahm einen verwunderten Ausdruck an. "Das ist allein Urbans Problem, meinst du nicht auch? Ich verstehe immer noch nicht, worauf du hinaus willst."

"Er meint, auch wenn Dietrich morgen mit dem Schwert den Freispruch für sich und Ida erzwingt, ist das Problem für dich noch nicht beseitigt!" mischte Elisabeth sich mit harter Stimme in das Gespräch.

Unwillig schüttelte der Burgherr den Kopf und entgegnete hitzig: "Liebe Elisabeth, es ist dann nicht Dietrichs Klinge, sondern Gott, der die beiden freispricht."

"Ja, ja, das sagen die Pfaffen! In Wahrheit wird es ein ungleicher Kampf - alt gegen jung. Das Ende davon kann man sich an fünf Fingern abzählen!"

"Ich bleibe dabei", antwortete Graf Max störrisch. "Es ist dann eben der Wille Gottes."

"Na schön", meinte Elisabeth und zog die Augenbrauen hoch. "Glaube, was du willst! Aber darum geht es doch gar nicht. Begreifst du nicht, daß du Dietrich aus deinem Leben entfernen mußt?"

"Wenn seine und Idas Unschuld durch ein Gottesurteil bestätigt wird, wüßte ich nicht, warum ich ihn verbannen sollte."

"Ja, glaubst du denn wirklich, daß die beiden völlig unschuldig sind? Glaubst du das?"

Verbissen antwortete Max von Ortenburg: "Ich glaube an das Gottesurteil."

"Nun gut, wenn es zu einem solchen Urteil kommt, das die beiden Angeklagten reinwäscht, dann mag das gerecht sein, soweit es die Zeugenaussage dieses Köhlers betrifft. Denn was der vorbrachte, war eine infame Lüge, und die hat auch der Herzog nicht geglaubt."

"Na also! Was stört dich dann noch am voraussehbaren Ausgang des morgigen Zweikampfes?"

"Ich muß dir leider etwas Wasser in deinen Zuversichtswein gießen! Als Dietrich mit deiner Gemahlin bei uns auf der Husenburg weilte, ist mir gleich am ersten Abend beim festlichen Mahl aufgefallen, wie vergnügt die beiden miteinander turtelten. Das hatte nichts mit Minnedienst zu tun, gegen den ja niemand etwas einzuwenden hätte. Aber da steckte mehr dahinter!"

"Ach, ich glaube, du übertreibst, Elisabeth! Die beiden waren höchstwahrscheinlich fröhlich und ausgelassen, so wie junge Leute eben sind, weil ihre Reise bis dahin glimpflich verlaufen ist. "

"Max, du warst ja nicht dabei. Daher weißt du auch nicht, was ich gesehen habe. Dietrich benahm sich gegenüber deiner Gemahlin wie ein ungebundener Freier, der einer Jungfrau ungeniert den Hof machen darf."

"Mein Gott, bausche doch nicht immer alles so auf. Vielleicht hatte er etwas zu viel über den Durst getrunken. Da kann es ja einmal geschehen, daß einer sich vorübergehend etwas unziemlich benimmt. Aber in diesem Fall war das wohl am anderen Tag wieder vergessen. Glaube mir, ich kenne Ida besser als du. Nie würde sie die höfischen Sitten außer acht lassen!"

Unwillig wandte Elisabeth sich an ihren Gemahl. "Sag du doch auch einmal etwas! Dein Bruder will einfach die Realität nicht wahrhaben!"

Werner von Husen, der sich offenbar schon in dem Gefühl gewiegt hatte, daß seine Aufgabe mit der Einleitung des Gesprächs beendet sei, nachdem er das Thema erfolgreich auf den Tisch gebracht, zuckte bei Elisabeths Tadel zusammen. Er richtete sich gehorsam auf und antwortete beflissen: "Jaja, Max, meine Gemahlin hat ein Gespür für so etwas, das darfst du mir glauben! Ich habe die beiden Turteltauben auch beobachtet."

Elisabeth betrachtete ihren Gemahl mit einer Miene, als wollte sie sagen: Was wirst du schon beobachtet haben, du warst ja selber betrunken! Aber das dachte sie nur, denn wichtiger war es ihr, daß Werners Bemerkung Wasser auf ihre Mühle war. Und in diesem Bewußtsein unternahm sie den nächsten Angriff auf Maxens hartnäckig verteidigte Meinung.

"Es ist zwecklos, weiter über die Vergangenheit zu streiten", sagte sie in entschiedenem Ton. "Was zählt, ist das, was vor uns liegt. Und ich werde die kommenden Gefahren, die du, lieber Schwager, für deine Ehe nicht sehen willst, schon im Vorfeld aus dem Weg räumen."

Graf Max warf ihr einen verwunderten Blick zu. "Das hört sich ja fast wie eine Drohung an!"

"O nein. Ganz und gar nicht. Wenn du Dietrich unbedingt weiterhin in deiner und damit Idas Nähe belassen willst, dann werde eben ich ihn in unlösbare Bande schlagen!"

"Man könnte meinen, du hättest selber ein Auge auf ihn geworfen!" entgegnete der Burgherr anzüglich. Werner von Husen kicherte bei dieser Antwort vergnügt in sich hinein, denn er war der scharfen Zunge seines Weibes selten gewachsen, und er freute sich daher diebisch, wenn andere sie ihr zuweilen stutzten.

"In gewisser Weise hast du sogar recht", entgegnete Elisabeth und bedachte dabei ihren Schwager mit einem mitleidigen Lächeln, das ihren Ärger über seine unziemliche Äußerung verbarg. In fast abfälligem Ton fuhr sie dann fort: "Die Phantasie der Männer reicht gewöhnlich nicht aus, um sich eine anständige Lösung des Problems, über das wir hier sprechen, vorzustellen."

"Na, dann erkläre dich endlich!" sagte Graf Max unwirsch, der nun seinerseits über die verletzende Antwort Elisabeths verstimmt war. Die Luft in dem kleinen Raum wurde durch das Abbrennen der Kerzen und durch den Atem der Menschen allmählich schlechter und legte sich dem Grafen bereits schwer auf die Brust. Er fühlte sich unwohl, und das Gespräch behagte ihm auch nicht.

Aber Elisabeth hatte kein Erbarmen mit ihrem Schwager, auf dessen abgespanntes Gesicht das Flackerlicht tanzende Schatten warf. Sie sah ihn einen Augenblick lang mit funkelnden Augen an, ehe sie antwortete. "Die Lösung, die ich habe, dürfte sich sowohl zu deinem, als auch zum Vorteil deines Vasallen auswirken."